Deutschland ist Mittelstandsland. Mehr als 60 % aller Beschäftigten arbeiten in den über zwei Millionen klein- oder mittelständischen Unternehmen (KMU) und sichern rund 15 Millionen Arbeitsplätze. KMU sind gegenüber Konzernen klar im Vorteil – sie sind flexibler, entscheidungsfreudiger und damit agiler. „Diese im Wettbewerb enorm wichtigen Vorteile drohen KMU zu verspielen“, stellen Kerstin und Jörg Herkommer fest. Dazu zählen die mangelnde Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsmodells, eine steigende Komplexität sowie fehlende Kennzahlen zur Steuerung des Unternehmens.
Diese Ergebnisse erbrachte die qualitative Befragung von 14 Unternehmensleitern der Uni Ulm durch dessen Institut für Technologie und Prozessmanagement (ITOP) in Zusammenarbeit mit EssentialView. Die Ergebnisse dienen als Grundlage für eine repräsentative Studie, die die Uni Ulm Ende 2018 durchführen wird.
Wachstumsbarrieren sind vielschichtiger Natur. „Unternehmen, die Klarheit über ihr Geschäftsmodell haben, darauf eine Strategie aufbauen und deren Umsetzung mittels Kennzahlensystem überwachen, bei Abweichungen eingreifen und ihr Geschäftsmodell nachjustieren, überwinden Wachstumsbarrieren deutlich häufiger,“ sagt Jörg Herkommer.
Ein klares Geschäftsmodell und dieses mit einem Kennzahlensystem strategisch umzusetzen – das sind zwei große Wachstumsbarrieren, die die KMU-Studie offenbart. „Die Mehrheit der KMU verlässt ihre Flexibilität, wenn es um das Nachjustieren ihres Geschäftsmodells geht. Und die Mehrheit dieser Unternehmen arbeitet bis heute allein mit der BWA und kennt sonst keine relevanten Zahlen des eigenen Unternehmens“, meint Kerstin Herkommer. Daraus leiten die Studienautoren ein erhöhtes Risiko ab, Fehlentscheidungen zu treffen.
KMU – agiler als Wissenschaft bislang vermutet
Eine weitere Wachstumsfalle droht nach Erkenntnis der Studie durch die Erweiterung der eigenen Produktpalette. Damit gingen in den meisten Fällen wesentlich höhere Komplexitätskosten einher. Die Folge: Ineffizienz und ein deutlich niedrigerer Profit. Nicht selten wird die Organisationsstruktur bei Unternehmenserweiterungen oft viel zu spät angepasst und damit der bürokratische Aufwand einer sich weiterentwickelnden Organisation unterschätzt. Auch hier heißen die Folgen: höhere Kosten, niedrigerer Ertrag.
Was macht die KMU dennoch so erfolgreich? „Viele aus der Wissenschaft abgeleitete Wachstumsbarrieren wurden von uns nicht bestätigt“, sagt Niklas Bayrle vom ITOP-Institut. Er vermutet gerade darin den Erfolg dieser Unternehmen. So bestätigt sich, dass KMU deutlich agiler und flexibler agieren als Industrieunternehmen. „Und eingeschränkte Managementkenntnisse führen eben nicht zwingend zu einer Unternehmensschwäche. Ebenso wie auch eine mangelnde Internationalisierung oder Exportaktivität nicht allein für ein ausbleibendes Wachstum schuldig sind“, so Bayrle.